Nevercrew

[CH]

- DAS WERK -

Gravity

TITEL: GRAVITY [SCHWERKRAFT]

TECHNIK: MALEREI (PINSEL) UND SCHABLONENTECHNIK

ENTSTEHUNGSJAHR: 2021

STANDORT: KREUZUNG RUE DU PONT / RUE DANIEL-JEANRICHARD

FLÄCHE: 50 m2

Denkt man an den Zustand unseres Planeten – ist das Glas dann halb voll oder halb leer? In diesem Fresko mit dem Titel «Gravity» (zu Deutsch «Schwerkraft») zeigen uns die Tessiner Christan Rebecchi und Pablo Togni, alias NEVERCREW, anhand einer halb leeren «Schneekugel», welche direkten und indirekten Folgen der Klimawandel hat. Das Künstlerkollektiv, eine echte Legende der eidgenössischen Street-Art-Szene, zählt zu den international gefragtesten schweizerischen Street-Art-Künstlern.

Die klassische «Schneekugel» besteht aus einer durchsichtigen, mit Wasser gefüllten Kuppel aus Glas oder Kunststoff. Durch den Sockel, auf dem sie befestigt ist, ist sie wasserfest verschlossen. Traditionell befindet sich in diesem Deko-Objekt eine Miniatur-Landschaft, die – da mit weissem Granulat bedeckt – winterlich anmutet. Dreht man die Schneekugel um, mischt sich dieses Granulat mit dem Wasser und wirbelt in der Kuppel umher. Stellt man die Kugel dann wieder auf ihren Sockel, fallen die «Schneeflocken» wieder sanft auf den Mikrokosmos und bedecken ihn mit «Schnee».

Diese Schneekugel – dieses zeitlose, völlig harmlose Objekt, das unsere endliche Welt symbolisiert –, hat sich hier jedoch für die an Land und im Wasser lebenden Tiere in eine tödliche Falle verwandelt, die dicht gedrängt und übereinander getürmt in der Kuppel eingeschlossen sind. «Zu sehen sind ein Pottwal, ein Blauwal, ein Schwertwal, ein Hai, ein Bär, ein Fuchs, ein Waschbär und ein Vogel», erklärt das Duo.

Normalerweise sind Schneekugeln komplett mit Wasser gefüllt. Die Kugel der NEVERCREW jedoch ist halb leer. «Das wertvolle Nass wurde vom Menschen aufgebraucht oder ist aus dem Behälter geflossen», erläutern die Künstler. Auch das weisse Gold hat sich aufgelöst. Ein Gleichnis, das an die klimatische Realität und den Wasserstress erinnert, unter dem die «Montagnes neuchâteloises», also die Neuenburger Berge, zu leiden haben, wo die heutigen Winter, in denen sich Trockenperioden und Wärmerekorde abwechseln, nicht mehr das sind, was sie früher einmal waren.

Auf dem Sockel der Schneekugel findet sich ein auf dem Kopf stehendes, «verdichtetes» Bild von der Innenstadt Le Locles – ein Auswahl von Häusern und klar erkennbaren architektonischen Elementen, die willkürlich angeordnet sind und deren fotografischer Realismus an ein altes Bild aus den Zeiten der Analogfotografie erinnert. Fest im Boden verankert, sind die Gebäude nicht in die Kuppel gestürzt. Bislang scheint Le Locle, die «Muttergemeinde», der Schwerkraft und den Gesetzen der Physik zu trotzen.

«Beim Entwurf dieses Freskos haben wir uns von den Merkmalen Le Locles inspirieren lassen – von seiner politischen und sozialen Geschichte, seiner geografischen und geologischen Lage und seiner industriellen Tradition, die von der Feinmechanik geprägt ist (insbesondere im Bereich der Uhrmacherei). Eine Industrie, die der Stadt in den letzten Jahrhunderten ihr Gesicht gegeben hat», erklärt das Künstlerkollektiv.

«In der Glaskuppel spiegeln sich die Gebäude der Umgebung, sodass das Werk untrennbar mit seiner Umgebung, also der Realität, verbunden ist.» Wie eine Mise en abyme von Zeit und Raum. Das Le Locle von einst, von den Künstlern frei im oberen Teil des Freskos dargestellt, begegnet dem sich in Spiegelungen zeigenden Le Locle von heute. «In diesem Sinne sehen wir in diesem Fresko auch eine Verbindung zwischen der lokalen Ebene (die Abbildung der Stadt Le Locle) und der globalen Ebene (die Wahl der Tiere). So wird mit den Grössenverhältnissen und dem Blickwinkel gespielt, mit dem konkreten Ort (also der Position des Betrachters) als Ausgangspunkt, gefolgt von der Stadt und der Welt und umgekehrt. Dabei werden die Ursachen und Auswirkungen jeder noch so kleinen Handlung auf das gesamte System offenbar, was wiederum an den Platz erinnert, den ein jeder im Gesamtbild hat», erklären die Künstler und fügen hinzu, dass ihr Fresko auch das Konzept der Aneignung und/oder des Teilens hinterfragt.

«In erster Linie wollen wir mit dem Fresko dem Gefühl Ausdruck verleihen, dass die Dinge nicht in die richtige Richtung gehen, das heisst, dass wir uns in einer widernatürlichen Situation befinden, die negative Auswirkungen auf alle Lebewesen hat. Es ist ein vom Menschen, aber nicht für den Menschen geschaffenes System, das sich zudem im Ungleichgewicht mit der Umwelt befindet, die er bewohnt. Unser Fresko zeigt die Kluft zwischen den menschlichen Systemen und dem natürlichen System. Diese verkürzte Sicht des Menschen auf die Natur zieht konkrete Schäden nach sich. Die Kluft und der Kontrast zwischen den Wirtschaftssystemen des Menschen und dem globalen natürlichen System zeigen sich in den Auswirkungen auf die Umwelt, aber auch in den grossen Ungleichgewichten und Ungleichheiten in unseren Gesellschaften, verursacht durch den Mangel an sozialer Gerechtigkeit bzw. dem ausbeuterischen Verhalten des Menschen», kritisieren Pablo und Christian.

Die Schneekugel der NEVERCREW ist mit einer virtuellen Spieldose ausgestattet, die mit dem kleinen im Sockel steckenden Schlüssel aufgezogen wird. Könnte man diese Musikdose wirklich abspielen, würde sicherlich eine tieftraurige Melodie erklingen. Aber Pablo und Christian sind keine Fatalisten. «Da die «Kuppel» vom Menschen auf den Kopf gestellt wurde, ist es letztendlich auch wieder an ihm – und insbesondere an denen, die an den Hebeln der Macht, der Wissenschaft und der Technologie sitzen –, sie wieder umzudrehen», erklären die beiden humanistischen Künstler, die von einer besseren Welt träumen.

Direkt unter dem Fresko verläuft die Rue Daniel-Jeanrichard, auf der täglich um die 13’000 Fahrzeuge verkehren, was sie zu einer der meistbefahrenen Verkehrsachsen von Le Locle macht. Somit ist diese Stelle ein idealer Standort für ein Werk, das an den Klimawandel erinnert.
© exomusée – Januar 2022 – Redaktion: François Balmer – Übersetzung: Proverb, Heiler & Co

KREUZUNG RUE DU PONT / RUE DANIEL-JEANRICHARD

- DIE KÜNSTLER -

Christian Rebecchi & Pablo Togni

Seit 1996 konzentriert sich die Arbeit der NEVERCREW auf die Beziehungen zwischen Mensch und Natur und die Auswirkungen des menschlichen Tuns auf die Umwelt. Ausserdem möchte das Künstlerduo mit seinen Werken soziale Ungerechtigkeit und repressive Systeme anprangern, ob sich diese nun gegen Menschen oder Tiere richten.

Christian Rebecchi und Pablo Togni, ehemalige Schüler der Kunstschule Lugano, wo sie sich kennengelernt haben, interagieren seit 25 Jahren im öffentlichen Raum. Nach ihrer Ausbildung an der Accademia di Belle Arti di Brera, in Mailand haben sie Werke in Grenoble, Neu-Delhi, Miami, Manchester, Kairo usw. geschaffen. 2012 wurden sie von der Bally Cultural Foundation als Künstler des Jahres ausgezeichnet und 2015 vom Graffiti Art Magazine in der Liste der 100 einflussreichsten Street-Art-Künstler geführt.

Ihr Stil lässt sich sowohl visuell als auch technisch als Hybrid-Stil definieren. Ihre visuelle Alchimie gründet sich auf die Verknüpfung einfacher grafischer Strukturen mit komplexen hyperrealistischen Elementen, den Kontrast von Zweidimensionalität und skulpturalen Installationen, das Aufbrechen der verschiedenen räumlichen Ebenen, die Gegenüberstellung von Grössenordnungen.

Bei seiner Arbeit will das Duo nicht einfach Fresken schaffen – vielmehr möchte es mit dem städtischen Raum interagieren.

In seinen Werken sind natürliche und künstliche Elemente gezwungen, ein Gleichgewicht zu finden: lebende und unbelebte Elemente, mechanische und biologische Elemente, Materialien und Tiere müssen nebeneinander bestehen.
© exomusée – Januar 2022 – Redaktion: François Balmer – Übersetzung: Proverb, Heiler & Co
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