Levalet

[FR]

- DAS WERK -

RETTE SICH WER KANN

TITEL: Sauve qui peut (RETTE SICH WER KANN)

TECHNIK: Peinture (sur bois)

ENTSTEHUNGSJAHR: 2019

STANDORT: Col 27

FLÄCHE: 18 m2

Warum legen diese Arbeiter ihre Arbeit nieder? Streiken sie? Ist es eine Revolte, der hastige Rückzug nach einer Standortverlagerung? Die Folgen einer industriellen Revolution? Oder ist es ein Klassenkampf? So viele Fragen, die der Künstler aufwirft, und deren Beantwortung er jedem selbst überlässt. Und es ist auch ganz egal, ob es sich um Arbeiter von heute oder aus früheren Zeiten handelt, denn die Botschaft, die Levalet sendet, ist universell und zeitlos: Die Produktionsverfahren ändern sich mit der Zeit und Fertigkeiten gehen verloren.

In den Rahmen von drei seit Jahren zugemauerten Fenstern lässt Levalet die Geschichte der Höhlenmühlen wieder aufleben und zollt den Männern und Frauen Tribut, die bei Dämmerlicht, bei Nässe und bei Kälte aus Getreide Mehl, aus Baumstämmen Balken und aus Raps Öl gemacht haben.

Geschickt nutzt Levalet die Rhythmik des Gebäudes zur Abgrenzung von drei Erzählbereichen – fast wie ein offenes (zweidimensionales) Altarretabel.

Auf der linken Seite nimmt ein Arbeiter seinen ganzen Mut zusammen und entflieht in die Freiheit.

In der Mitte sitzt ein Kollege, die Füsse baumeln über dem Abgrund. Er versucht, die Entfernung bis zum Boden und die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, sich beim Springen den Hals zu brechen. Neben ihm steht ein weiterer Arbeiter, offenbar ängstlicher und unentschlossen, ob er seinen Kameraden folgen oder lieber an seinen Arbeitsplatz zurückkehren soll.

Im dritten Fenster hält sich der wagemutigste der Vier gerade noch am Steinvorsprung fest, zögert loszulassen, als würde ihm plötzlich klar, dass die Aufgabe seines Arbeitsplatzes wie ein Sprung ins Ungewisse ist. Sein Wunsch nach mehr Freiheit? Vielleicht fürchtet er, kein würdiges Leben mehr führen zu können.

In diesem Werk geht es um Kapitulation, um den sozialen Abstieg. Die Arbeiter gehen hier nicht auf die Barrikaden. Desillusioniert und müde verlassen sie einfach ihren Posten – ohne Aufsehen, ohne Gerangel und ohne ein Zeichen gegenseitiger Hilfe. Sie erinnern an Sträflinge, die, nachdem sie die Gitterstäbe ihrer Fenstern durchsägt haben, zu spät bemerken, dass die Gefängnismauern zu hoch sind, um sich einfach davon zu machen.

Die Silhouetten der «Deserteure» sind als Vertiefungen weiter in den Mauern der stillgelegten Fabrik sichtbar. Sie sind wie Matrizen, die der saure Schweiss der Arbeiter in das Holz gefräst hat, entstanden aus den über Jahre immer gleichen Handgriffen. Diese Abdrücke lassen vermuten, dass die Arbeiter als Gussformen enden. Diese leeren existenziellen Sarkophage erinnern an Matrizen, in die neue Arbeiter eingepasst werden können.
© exomusée – Januar 2022 – Redaktion: François Balmer – Übersetzung: Proverb, Heiler & Co

Col 27

DIE GESCHICHTE DER HÖHLENMÜHLEN DES COL-DES-ROCHES

Im Westen des Tals von Le Locle stürzt sich der Bied in einem mehrere Meter hohen unterirdischen Wasserfall in das Kalksteinbecken des Col-des-Roches.

1652 installieren drei Müller, Daniel Renaud, Isaac Vuagneux und Balthazard Calame, in der Höhle zwei Räderwerke, die eine Getreide- und eine Dreschmühle antreiben. Diese clevere Idee weckt schnell Begehrlichkeiten – auch bei dem einflussreichen Würdenträger Jonas Sandoz. Dieser nutzt seinen Einfluss bei den kantonalen Behörden und erhält die Genehmigung, sich den Mühlenbetrieb anzueignen. Die Müller werden finanziell entschädigt und gezwungen, ihre Koffer zu packen.

Jonas Sandoz verfolgt einen ehrgeizigen Plan: Er macht aus der Höhle eine regelrechte unterirdische Fabrik mit fünf Wasserrädern, die genug kinetische Energie liefern, um Getreidemühlen sowie eine Säge-, eine Dresch- und eine Ölmühle anzutreiben. Über Stollen und Treppen gelangt man zu den Anlagen, um sie instandzuhalten. 1690 ist Sandoz bankrott und muss seinen Betrieb verkaufen.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts führen Mehlimporte – die zwar offiziell verboten sind, aber geduldet werden – dazu, dass es im Fürstentum immer weniger Getreidemühlen gibt. Der Betrieb des Col-des-Roches wechselt ein halbes Dutzend Mal den Besitzer. Die wechselnden Besitzer müssen fortlaufend an einer Vereinfachung des Wasserantriebs arbeiten, um die Instandhaltungskosten zu senken. 1780 sind nur noch drei Räderwerke und drei Mühlen in Betrieb.

1844 erwirbt ein Bäcker aus Le Locle, Jean-Georges Eberlé, das Gelände und baut dort eine grosse Anlage mit Mahlwerken, Getreidereinigungs- und Sichtsystem sowie Sackaufzügen. Das Industriezeitalter hat begonnen.

Eines der Wasserräder wird durch eine Turbine ersetzt. Mithilfe einer fünfzig Meter langen Antriebswelle werden mit dem letzten noch betriebenen Rad die Maschinen eines ausserhalb der Höhle, auf Bodenniveau, befindlichen Sägewerks angetrieben.

1884 verkaufen Eberlés Erben die Mühlen an die Gemeinde Le Locle. Die Stadt möchte das sumpfige Tal durch Änderung des Wasserlaufs sanieren.

1898 werden die Mühlen in einen Schlachthof umgewandelt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird der Betrieb mit neuen Gebäuden und modernsten Anlagen ausgestattet. Jahrzehntelang nutzen die Betreiber die Höhle als Abfallgrube für Fleischabfälle und Abwässer. Bei seiner Schliessung 1966 ist das Kalksteinbecken stark verschmutzt.

Von 1973 bis 1988 leistet eine Gruppe von Geschichtsliebhabern und Höhlenforschern eine kolossale – und dazu noch rein ehrenamtliche – Arbeit, indem sie die Höhlenmühlen des Col-des-Roches wieder der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Interesse an den Höhlenmühlen ist sofort riesig.

Es dauert allerdings bis 2001, bis eine Dauerausstellung über die Geschichte der Mühlen und der Region ihre Pforten öffnet. Ein Museum ist geboren.

2007 wird ein geschlossener Wasserkreislauf installiert, der die alten Mühlen wieder zum Leben erweckt. 2018 werden der Hof und das alte Sägewerk saniert.

Auf dem Gelände finden regelmässig Wechselausstellungen und andere Veranstaltungen statt. Ein solches Museum ist in Europa einzigartig. Diese Museumsanlage zählt zu den Haupttouristenattraktionen der Region.
© exomusée – Januar 2022 – Redaktion: François Balmer – Übersetzung: Proverb, Heiler & Co

- DER KÜNSTLER -

Levalet

Charles Leval, alias «Levalet», wird 1988 in Epinal geboren. Er wächst in Guadeloupe auf, wo er die urbane Kultur und die Bildenden Künste kennenlernt. In Strassburg setzt er sein Studium der Bildenden Künste fort; seine Kunst, die zu dieser Zeit eher in Richtung Videokunst geht, lebt von seiner intensiven Theaterarbeit.

2012 erhält er seine Agrégation (Zulassung für die Lehrtätigkeit in der Sekundarstufe). Im selben Jahr beginnt er auch mit seiner Arbeit in Paris und andernorts Fuss zu fassen. Ab 2013 stellt er in Kunstgalerien aus und nimmt an internationalen Veranstaltungen teil.

Beim Werk von Levalet handelt es sich in erster Linie um Zeichenarbeit und Installationen. Er setzt seine mit Tusche gezeichneten Figuren im öffentlichen Raum in Szene, schafft einen visuellen und semantischen Dialog mit ihrer Umwelt. Die Figuren interagieren mit der Architektur und finden sich nicht selten in beinahe absurden Situationen wieder.
© exomusée – Januar 2022 – Redaktion: François Balmer – Übersetzung: Proverb, Heiler & Co
PRINT

Um den Inhalt der Seite auszudrucken, klicken Sie bitte auf das Druckersymbol.

- Das exo -​

im Netz

Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und YouTube! Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!